Kurzanleitung für Neulinge und Fortgeschrittene
Echte Kölner kennen das. Egal, wo sie grad sind. Sie schauen am fortgeschrittenen Vormittag auf die Uhr oder das Handy – und natürlich zeigen Zifferblatt oder Display vier Einsen an. Manche meinen, dies sei einfach in den Genen verankert. Andere hingegen geben offen zu, dass sie es kaum erwarten können, bis das magische Datum endlich erreicht ist. Schließlich ist das, was am elften Tage des Novembers um exakt 49 Minuten vor Mittag beginnt, in dieser Form weltweit einzigartig.
Die Kölner bezeichnen es wahlweise als Karneval, fünfte Jahreszeit oder schlicht als Session. Doch Worte werden den Ereignissen kaum gerecht, die sich am 11.11. rund um den Alter Markt zutragen. Schon gegen 9 Uhr finden sich in der Altstadt die närrischen Würdenträger ein, die bis zum Aschermittwoch im Rampenlicht stehen werden. Gemeinsam mit zehntausenden Jecken zählen sie die Minuten bis zum offiziellen Startschuss herunter, wobei die Liebhaber origineller Verkleidungen bereits mit Kennerblick die vielen liebevoll zusammengestellten Kostüme würdigen.
Ist es endlich 11.11 Uhr, gibt es kein Halten mehr: Einschlägig bekannte Bands aus Köln und dem Umland konkurrieren mit alten und neuen Liedern um die Ehrentitel des besten Schunkel-Songs und des euphorischsten Gassenhauers. Im Hintergrund fließt das Kölsch in Strömen aus den Fässern. Dabei wird heftig geschunkelt – und zaghaft »gebützt«. So bezeichnet der Kölner die respektvolle Wertschätzung anderer Menschen, die während des Karnevals nicht unüblich ist.
Während auf der Straße die Stimmung immer neuen Höhen entgegenstrebt, haben sich in weiten Teilen der Stadt nun auch die Kneipen gefüllt. Dabei spielt es keine Rolle, auf welchen Wochentag der 11.11. fällt, denn anlässlich der Sessionseröffnung ist das öffentliche Leben in Köln weitgehend lahmgelegt – ohne dass irgendjemand dies merkwürdig fände.
Auch Gäste gewöhnen sich erfahrungsgemäß schnell an den Ausnahmezustand. Für Neulinge aber gilt genauso wie für Veteranen, dass es keine allgemeingültige Anleitung für den ultimativ gelungenen Karnevalstag gibt. Einige grundlegende Überlegungen aber helfen dabei, alles in die richtige Bahn zu lenken.
Die wichtigste Entscheidung liegt zunächst darin, welche Art des Karnevals man erleben möchte. Wer Massenveranstaltungen bevorzugt, ist im Epizentrum am Alter Markt und dem angrenzenden Heumarkt gut aufgehoben. Dieses Terrain wird vor allem von Traditionalisten aufgesucht, die einen ersten Blick auf das Dreigestirn der Session erhaschen möchten – und die für die besten Plätze vor der Bühne auch Eintritt bezahlen.
Die Zülpicher Straße hingegen hat sich zum Treffpunkt der jüngeren Jahrgänge aufgeschwungen. Zwischen den Ringen und dem Bahnhof Süd war der Andrang zuletzt so groß, dass das gesamte Viertel abgesperrt und die Partyzone in Richtung Grüngürtel erweitert wurde. Auf einer vor der Uni-Mensa platzierten Bühne heizen Live-Acts die Stimmung an. Ein wenig abseits mischen sich unter die »Kölschen Tön« auch weniger karnevalistische Klänge. Aus Sicherheitsgründen gilt in weiten Teilen des sogenannten Kwartier Latäng ein Glasverbot, dessen Einhaltung ebenso wie andere Benimmregeln von Security-Personal durchgesetzt wird.
Deutlich intimer geht es unterdessen in den Kneipen der einzelnen Stadtviertel zu. Hier steht man noch so zusammen, wie es die Bläck Fööss in ihrem Evergreen »En unserem Veedel« besungen haben. Egal ob jung oder alt und arm oder reich: es wird gesungen, geschunkelt und getrunken. Das Anstehen in der Schlange ist dabei nahezu unvermeidlich. Doch erfahrene Karnevalisten wissen, dass dies Teil des Vergnügens ist. Flüchtige Bekanntschaften und die Geschichten der Mitwartenden erweisen sich als gutes Futter für das Anekdotenrepertoire. Vor gut geführten Adressen muss man auch draußen nicht darben, denn entweder kommen die Köbesse immer mal wieder mit einem Kölsch-Kranz vor die Tür, oder eben die Freunde, die bereits drinnen sind.
Am größten ist die Dichte dieser Gaststätten wohl in der Südstadt rund um den Chlodwigplatz. Doch auch am Eigelstein, in Nippes, im Agnesviertel, in Ehrenfeld oder in Lindenthal versteht man sich auf die Kunst, den Karneval in seiner Reinform zu feiern. Je nach Kneipe kann die Party auch am 11.11. bis tief in die Nacht dauern – es gibt also keine unbedingte Notwendigkeit, schon am frühen Morgen loszulegen.
Ohnehin lassen Routiniers es zur Sessionseröffnung gerne etwas ruhiger angehen. Schließlich möchte niemand bereits ausgeschaltet sein, ehe die Stimmung ihren Höhepunkt erreicht. Wer etwas vom Tag haben möchte, hält sich daher eisern an ein paar disziplinarische Regeln. Im karnevalistischen Kontext sieht das ungefähr so aus: An alkoholischen Getränken ausschließlich Kölsch trinken, immer mal wieder ein Wasser einbauen und wie ein Ausdauersportler auch an die feste Nahrung denken. Traditionell gelten Mettbrötchen oder Flönz als gute Grundlage, doch auch vegetarische Backwaren wie Mutzenmandeln und Krapfen leisten gute Dienste.
Abschließend sei noch bemerkt, dass es sich beim 11.11. lediglich um eine Art Vorschau auf etwas Größeres handelt: So richtig beginnt die fünfte Jahreszeit nach altem Brauchtum erst am Dreikönigstag im neuen Jahr. Ihre Dauer richtet sich nach dem Datum, auf das Ostern fällt: Sechs Wochen davor erreicht sie mit dem Straßenkarneval ihren Höhepunkt. Dies hängt mit den religiösen Wurzeln des Karnevals zusammen. Auch wenn es zum Konzept gehört, dass die Stadt während der jecken Zeit zuweilen einem Tollhaus gleicht, so gebietet sich nicht zuletzt deshalb auch eine gewisse Mäßigung. Kontrollverlust und Respektlosigkeit kommen daher für echte Jecken nicht in Frage. Aber das versteht sich ja von selbst.
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