Köln hat nur selten Lust auf Sommerpause. Während an heißen Tagen anderswo die Innenstädte verwaisen, stopft Köln seine popkulturellen Löcher. Das hat eine lange Tradition. Bis 2003 lockte die Popkomm jeden Sommer Tausende Musikfans nach Köln. Ihr folgte, eine Nummer kleiner, die c/o pop. Doch nichts lässt den Kölner Spätsommer so stark vibrieren wie die gamescom. Doch lohnt sich die Videospielmesse auch für Gelegenheitsspieler? Und was für Alternativen gibt es zu den chronisch überfüllten Hallen?
L.A., Tokyo – Köln
2008 glich die Nachricht einem Paukenschlag: Die „Games Convention“ sollte im Folgejahr unter neuem Namen von Leipzig ins Rheinland übersiedeln. Über Nacht erschien Köln so auf der Landkarte der internationalen Videospielbranche. Seitdem ist die gamescom neben der „Electronic Entertainment Expo“ in Los Angeles und der „Tokyo Game Show“ die wichtigste Computerspielmesse der Welt. Hunderte Aussteller präsentieren hier jeden August ihre Neuheiten für das Herbst- und Weihnachtsgeschäft. Hunderttausende Besucher strömen in die Stadt. Sie wollen Gleichgesinnte treffen und Spiele testen, die erst Monate später in den Handel kommen.
Goody bags und Tinnitus gratis
Aber nicht jeder ist geschaffen für eine Acht-Stunden-Schicht auf der gamescom. Hitze, Lärm und hochpolierte Blockbuster-Games prägen hier das Bild. Auf riesigen Screens laufen Trailer zum siebten Teil eines neuen First Person Shooters. Daneben harren Gamer eine Stunde lang in einer 150 Meter-Schlange aus, an deren Ende sie den dreiminütigen Spieletrailer eines neuen Action Adventures sehen dürfen. Ein Paradies für Hardcore-Spieler – ja. Aber auch eine Bewährungsprobe für eher besinnlichere Spielertypen. Etwa jene, die sich für die Interaktion zwischen Videospielen und audiovisueller Kunst interessieren. Sie sind auf der großen Messe nicht gut aufgehoben. Zum Glück gibt es Alternativen.
Jenseits der Hallen
Dank digitaler Initiativen bietet Köln ein entspanntes Gegenprogramm zum Bombast der ohnehin fast ausverkauften gamescom. In etlichen On- und Off-Locations außerhalb der Messe präsentieren Computerspiel-Entwickler und audiovisuelle Künstler faszinierende Projekte. Darunter sehr viele Prototypen. Viele Werke bestechen durch ihr künstlerisches Statement. Oft besitzen sie grafisch und spielerisch eher Democharakter. Doch in den meisten Fällen können die Besucher die Aufbauten tatsächlich spielen. Ohne lange Anstehzeiten und nicht selten auf sehr ungewöhnlicher Hardware. Und als sei das nicht genug: Die Parallelveranstaltungen zur gamescom sind allesamt gratis.
PLATINE Festival
Das PLATINE Festival findet dieses Jahr zum sechsten Mal in den Straßen rund um den Ehrenfeldgürtel statt. PLATINE ist Werkschau und Spiele-Schnitzeljagd zugleich. Mit Info-Flyer in der Hand zieht der Besucher durch Clubs, Galerien und Kneipen. Dort erlebt er erstaunliche Projekte aus dem Spannungsfeld zwischen elektronischer Kunst und alternativen Spielformen. Zu den letztjährigen Highlights zählte eine Tischtennisplatte, deren Oberfläche sich beim Spielen dreidimensional verformte. Selbst geübte Spieler waren dadurch optisch so sehr getäuscht, dass sie nicht mehr vernünftig spielen konnten. 2016 gilt es nun unter anderem, im Spiel „SisyFox“ eine riesige, mit Sensoren ausgestattete Kugel als Eingabegerät zu rollen. Dabei, soviel ist jetzt schon klar, kann man analog zur griechischen Sage des „Sisyphos“ nie gewinnen – Scheitern als Spiel. „Current Times“ hingegen beschäftigt sich mit der aktuellen Situation der Videospiele und überträgt bekannte Prozesse der Arbeitswelt auf das Medium Videospiel.
Das PLATINE Festival ist selbst für Nicht-Gamer eine faszinierende Erlebniswelt. Für Spieler, die nach der Messe noch Power haben, sowieso. Auch ohne gamescom wäre dem Festival ein fester Platz in den Herzen der Kölner sicher. Tipp: Unbedingt den leicht beklemmenden Bunker K101 in der Körnerstraße besuchen!
Termin: 15. bis 18. August, täglich von 19 – 24 Uhr
Wo: Köln-Ehrenfeld, artheater | Showroom Buchal & Krings | Bunker K101 | Heinz Gaul | Marienstraße | ZOO-Schänke
Eintritt: frei
Web: www.platine-festival.de
„Virtual Brutalism“ in der „Baustelle“
Bei dieser Ausstellung in Köln Kalk, ebenfalls gut von der Messe aus erreichbar, ist die Location fast so ein Star wie die Veranstaltung. Die Hinterhof-Location „Baustelle Kalk“ ist Bar, Club, kulturelles Biotop und improvisierter Biergarten in einem. Jüngst wurden die Macherinnen und Macher mit dem Kölner Kulturpreis ausgezeichnet. Völlig zu recht. Die Ausstellung parallel zur gamescom ist bereits die zweite nach 2015. Leicht sperriges Oberthema: „Virtual Brutalism“. Hierbei stehen fünf digitale Arbeiten von Limasse Five, acatalept, Ezra “xra” Hanson-White, Ivan Notaros und Dylan Schneider im Fokus. Voraussichtlich drei davon werden interaktiv sein. Der erwähnte Brutalismus im Namen bezieht sich dabei auf den gleichnamigen Architekturstil, nicht etwa auf brutale Videospielszenen. Rohe digitale Architektur, Bildschirmkunst und mehr stellen dabei die Frage, inwieweit bestimmte Videospielästhetiken vom analogen Brutalismus beeinflusst sein könnten. Spannend.
Termin: 17. bis 21. August, täglich von 19 – 22 Uhr
Wo: Baustelle Kalk, Kalk-Mülheimer Straße 124, 51103 Köln
Eintritt: frei
Web: baustellekalkpost.blogspot.de/
gamescom city festival
Nach so vielen Nullen und Einsen dürfte einem langsam der Kopf rauchen. Umso schöner, dass der gamescom dieses Jahr erneut ein eigenes Open-Air-Festival auf vier Bühnen spendiert wird. Auf dem Hohenzollernring, dem Neumarkt, dem Rudolfplatz und erstmals auch auf dem Apostelnplatz spielen an drei Tagen unterschiedlichste Bands. Unter anderem mit Joris, Max Giesinger und Valentina Mér. Und ganz besonders zu empfehlen: Am Samstag mit den entgrenzten Wiener Rock-Darlings Wanda sowie der Köln-Berliner Indie-Band Abay um den ehemaligen Blackmail-Sänger Aydo Abay. Ein emotionaler Ausklang einer für Köln wahrlich ereignisreichen Sommerwoche.
Termin: 19. bis 21. August, täglich von 18 – 22 Uhr
Wo: Hohenzollernring, Neumarkt, Rudolfplatz und Apostelnplatz
Line-Up: Wanda, Abay, Joris, Max Giesinger, Valentina Mér, Oscar, Wirtz, Sunset Sons, Nahko And Medicine For The People
Eintritt: frei
Spielen für die Wissenschaft
Ein Gespräch mit Juniorprofessor Benjamin Beil zur gamescom.
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