Tipps für noch tollere Tage und Nächte
Das Wunderbare am Kölner Karneval ist, dass er es einem so leicht macht. Auch ohne Kenntnis von Brauchtum oder Liedgut kann man sich ins Getümmel stürzen und eine gute Zeit haben. Doch wer nur den großen Menschenansammlungen hinterherzieht, dem droht die Gefahr, einem eher standardisierten Straßenparty-Event anheim zu fallen. Dabei bietet gerade die Kölner Variante des Karnevals so viel mehr, was es zu entdecken lohnt.
Eröffnungsfeier mit der Nippeser Bürgerwehr
Die tollen Tage von Weiberfastnacht (auf Kölsch „Wieverfastelovend“) bis Aschermittwoch soll manch einer ja als ganz schön kurz empfinden… Mit diesem Tipp seien zumindest zwei Stunden oben drauf gepackt. Und das geht so: Zwar wird die heiße Phase des Karnevals offiziell um 11:11 am Alter Markt eröffnet, aber die cleveren Frühstückskölsch-Trinker treffen sich einfach schon zwei Stunden davor auf dem Wilhelmsplatz. Dort eröffnet die Nippeser Bürgerwehr traditionell den Reigen bereits um 9:11. Wohl bekomm’s!
Wissenswertes: Der Spitzname der Nippeser Bürgerwehr lautet „Appelsinefunke“, was auf ihre orangenen Gewänder zurückgeht.
Wo: Wilhelmsplatz, 50733 Köln-Nippes
Web: www.nippeser-buergerwehr.de
Loss mer singe
Keine Frage: Spätestens ab Weiberfastnacht bis Aschermittwoch beherrscht ein niemals verklingender, äh, „Gesang“ die Straßen. In Dauerrotation hört man Zeilen wie: „Die Karawane zieht weiter, der Sultan hätt Doosch!“, „Mer losse d’r Dom en Kölle!“ oder natürlich „Da simmer dabei, das ist…“ – na, sie wissen schon: Prima. Was es aber auch ist, ein wenig arg vorhersehbar und statisch. Der Zusammenschluss „Loss mer singe“ hat sich daher zur Aufgabe gemacht, den Karneval mit neuen Liedern zu bestücken. In ausgewählten Kölschkneipen schneit man daher herein, verteilt Textblätter und kürt frische Stücke, die nicht schon ewig gegrölt werden. Kreativität und Eigenengagement wie von „Loss mer singe“ sind das, was den kölschen Karneval so besonders machen.
Wissenswertes: Alle erwirtschafteten Einnahmen von „Loss mer singe“ werden gemeinnützigen Projekten gespendet.
Wann: Diverse Termine
Web: www.lossmersinge.de, www.facebook.com/Lossmersinge/
Karnevalssport von Rhythmusgymnastik
Wie eng Karneval mittlerweile mit der kontemporären Feierkultur verzahnt ist, davon hat vermutlich jeder eine Ahnung – doch zuletzt hat auch die Popkultur immer mehr Einzug in das einst nur von Vereinen geprägte Treiben genommen. Eine kollektive Ekstase stellt dabei die sogenannte Karnevalssport Veranstaltung dar. Hier steht konstant das aufgekratzte Flimmern in der Luft, als würde man dem letzten Konzert von Take That mit Robbie in den 90ern beiwohnen. Die Rhythmusgymnastik zieht dabei auch immer Akteure der Pop-Welt an: So wurde unter anderem schon Marteria (der Gold- und Platin-HipHop-Act aus dem eher mäßig karnevalistischen Rostock) eins mit dem kölschen Ausnahmezustand.
Sehenswertes: Dieser Clip von vor ein paar Jahren hat (nicht nur) Marterias Besuch dokumentiert:
Wann und Wo: steht noch nicht fest
Web: www.facebook.com/events/417009772558326/
Stunksitzung
Selbst dem passioniertesten Karnevalshasser sind sie ein Begriff: Die großen Prunksitzungen der Session! Denn sicher ist jeder schon Mal für einige Augenblicke hängengeblieben, als er beim arglosen frühjährlichen Zappen durchs TV-Programm mitten in die Übertragung von „Mainz, wie es singt und lacht“ oder ähnlichem krachte. Tusch, Humbatäterä und komische Honoratioren mit Orden – mitunter wich man da entsetzt vom Empfangsgerät zurück. Verständlich, aber trotzdem schade! Denn das Prinzip der Büttenrede ist letztlich auch bloß eine regional gefärbte Variante von Stand-Up-Comedy – und dass die eben gerade auch im Karneval funktionieren kann, beweist der Erfolg der Stunksitzung. In den Achtzigern aus der Taufe gehoben als Alternative zum schunkeligen Veranstaltungsmainstream ist diese Version der subversiven Narrenkappe mittlerweile längst zur eigenen Marke geworden. Die Bandagen sind hier härter, die Pointen feinsinniger und die Themen aktueller. Die Stunksitzung wurde über die Zeit zu dem zentralsten Karnevals-Termin auch für überzeugte Karnevalsgegners.
Wissenswertes: Die Singularität des Begriffs „Stunksitzung“ ist irre führend. Innerhalb der diesjährigen Saison finden 70 davon statt.
Wann: Diverse Termine
Web: www.stunksitzung.de
Geisterzug
Das Klischee, das Karneval ausschließlich bunt, albern und leicht hysterisch sein muss, lässt sich sofort aushebeln, begibt man sich auf die Route des sogenannten Geisterzugs. Fackeln und Trommeln statt Dschinderassabumm – und vor allem eine ganz eigene, archaische Atmosphäre begleiten diesen Gang durch die nächtliche Stadt. Von dem Geisterzug in Köln kann sich Halloween immer noch eine Scheibe abschneiden. Ein beeindruckendes Erlebnis.
Wissenswertes: Selbst Besitzer von Trommel oder ähnlich lautstarken Geräts? Man kann sich ganz einfach auch als Teilnehmer anmelden und den Zug selbst mitprägen, statt nur dabei zu stehen.
Wann: Karnevalssamstag
Abmarsch: 19:00 Uhr, Ort: siehe Tagespresse
Zugverlauf: siehe Tagespresse
Web: www.geisterzug.de
Veedelszüge
Es muss nicht immer der Rosenmontagszug sein. Bei jenem zumindest findet sich an der Strecke kaum ein richtig gutes Plätzchen mit unverstellter Aussicht – ohne extrem frühes Warten mit dem Klappstuhl. Nicht weniger originell aber gleichzeitig weniger überlaufen stellt sich die Lage da auf den unzähligen Veedelszügen dar. Veedel ist natürlich Kölsch und bezeichnet die hiesigen Stadtteile. Auch dort fliegen die Kamellen und noch vieles mehr tief, doch man erhascht leichter ein Blick aufs Geschehen – selbst wenn man nicht schon im Dunkeln aufgestanden ist.
Wissenswertes: Wer auf den Klassiker dann doch nicht verzichten mag, dem sei gesagt, der Rosenmontagsumzug wird traditionsgemäß vom WDR live übertragen. So kann man schön im Pyjama-Kostüm zuschauen.
Wann: Weiberfastnacht bis Karnevalsdienstag
Wo: Diverse Locations
Alle Termine findet ihr hier: koelnerkarneval.de/zuege/#zuegeindenstadtvierteln
Röschen Sitzung
Köln besitzt ja nicht nur den, ich zitiere, „geilsten Arsch der Welt“ sondern auch eine über die Landesgrenzen hinaus bekannte wie feierfreudige schwul-lesbische Szene. Die macht natürlich auch vor dem Karneval nicht Halt – im Gegenteil. Ein besonderes Highlight, das zudem mit dem Stempel „Hetero friendly“ wirbt, sind dabei die Röschen Sitzungen. Das Motto diesmal „La Vie en Röse – Pariser, Prumme und Pailletten“ verweist auf ein ganz besonderes Sitzungs-Event. Zu beklatschen dort auch der älteste Schwule Karnevalsverein: Die Rosa Funken.
Wissenswertes: Claus Vincon (Käthe in der „Lindenstraße“) gehört zum Ensemble der Röschen Sitzung.
Wann: Diverse Termine
Wo: Kulturbunker Mülheim, Berliner Straße 20, 51063 Köln
Web: www.roeschensitzung.de
Treiben lassen
Auf den ersten Blick klingt der beste Tipp, Karneval abseits von breit getretenen Pfaden zu erleben, vielleicht am banalsten. Doch vertraut mir, er ist Gold wert. Denn die besten Momente gibt es gratis, sie ergeben sich, wenn man mit offenen Augen durch die Straßen läuft (oder meinetwegen auch stolpert). Angeraten ist dabei, Hot Spots wie Altstadt oder die Zülpicher Straße hinter sich zu lassen. Es lohnt der Blick in die zahlreichen Nebenstraßen, gibt es hier vielleicht eine urige Kölsch-Kneipe, aus der Musik dringt, die sich dabei aber nicht von Feiermassen überlaufen findet?
Also singt Lieder, die ihr nicht kennt, sprecht mit freundlichen Leuten, die ihr gerade kennengelernt habt, haut ab, wenn es irgendwo zu voll oder zu nervig wird. Der Karnevals-Jackpot ist ohnehin, von sympathischen Neubekanntschaften auf eine Privatparty mitgeschleppt zu werden. Also Augen auf, der Rest kommt ganz von allein.
Wissenswertes: Ein gutes Kostüm ist das A und O, um im Straßenkarneval mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Gebt euch richtig Mühe, statt am Tag selbst im Altkleidersack zu wühlen, wird das einen positiven Einfluss auf eure Session haben.
Wo: Immer und überall
Nubbelverbrennung
Es ist Veilchendienstag und Du könntest schwören, Deine Verkleidung sei Zombie, obwohl Du doch eigentlich dieses Jahr als Pikachu gegangen bist? Keine Sorge, es ist ganz normal, sich am letzten Tag des Karnevals wie ein Untoter zu fühlen. Wem das nicht so geht, der hat eher etwas falsch gemacht. Dieser Zustand zwischen Euphorie und Erschöpfung lässt sich am letzten Abend dann noch mal richtig zelebrieren. Denn es geht den über vielen Kneipentoren angebrachten Nubbel an den Kragen. Diese Puppen symbolisieren nachweislich seit über 200 Jahren den Geist des Karnevals. Stellvertretend für die Partygäste nimmt er alle Verantwortung für die Ausschweifungen und die Grenzübertritte der vergangenen Tage auf sich. Eine Prozession überführt ihn dann seinem Schicksal, an dessen Ende eine theatralische Ansprache steht, die unweigerlich auf seinen Schuldspruch hinausläuft. Als Beisteher dieses Ereignis gilt es, immer zu murmeln (oder zu rufen): „De Nubbel war’s!“ Dann wird jenes Kerlchen den Flammen übergeben. Und Karneval ist für dieses Mal schon wieder vorbei und Aschermittwoch nicht mehr aufzuhalten.
Wissenswertes: Es lohnt sich tagsüber beim Straßenkarneval den Blick über die Eingänge der Kneipen zu richten, denn sonst entgeht einem sicherlich der ein oder andere dort montierte Nubbel. Lustige bis gruselige Biester!
Wann: Karnevalsdienstag, abends
Wo: Diverse Locations
Web: www.koelnerkarneval.de
Der Geisterzug ist auf jeden Fall mal eine andere Art des “bunten Karnevals”. Aber dennoch beeindruckend, wie gut die Kostüme gelungen sind. Halloweenkostüme kommen wohl auch nach Oktober noch gut an.